DE policy/EU-Urheberrechtsreform Richtigstellungen Voss

Wikimedia Deutschland antwortet auf Axel Voss edit

In den vergangenen Tagen haben wir – erstmals in der Geschichte des Vereins – sämtliche unserer rund 65.000 Mitglieder per Mail gezielt auf politische Vorgänge innerhalb der laufenden EU-Urheberrechtsreform hingewiesen, vor deren möglichen Folgen für das freie Internet gewarnt und dazu aufgerufen, die handelnden Europapolitikerinnen und -politiker zu kontaktieren, um ein Umsteuern zu erreichen.

Zentrale Figur beim Europaparlament ist der CDU-Abgeordnete Axel Voss, der als sogenannter Berichterstatter für die dortige Detailarbeit an der Reform zuständig war und ist. In Reaktion unter anderem auf unseren Aufruf verschickt sein Büro nun eine Standard-E-Mail an all diejenigen, die sich besorgt bei ihm melden und Nachbesserungen fordern. Diese Standardantwort wurde auch der übrigen Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP), der auch Voss im Europaparlament angehört, zur Verwendung empfohlen.

Wir möchten hiermit unsererseits detailliert auf diese Standardantwort von Herrn Voss reagieren, die nicht nur inhaltliche Fehlinformationen über die Inhalte der umstrittenen Urheberrechtsreform und ihrer potenziellen Folgen enthält, sondern sämtliche Kritiker der Reform zu einer Art „fünften Kolonne“ Googles und anderer Netzriesen erklärt. Der genaue Wortlaut von Herrn Voss, den wir ungekürzt und nur durch Richtigstellungen unterbrochen wiedergeben, ist unten kursiv gesetzt und eingerückt und wurde uns durch Mitglieder zugeleitet, die diese Antwort von ihm erhalten hatten.

Axel Voss schreibt:

Leider gehen zurzeit viele Menschen von Annahmen aus, die gerne gestreut werden, um den dringenden Reformprozess für das Urheberrecht zu unterminieren und die diejenigen, die kreative Leistungen erbringen oder dafür wirtschaftlich/strukturell verantwortlich sind, um ihre faire Vergütung bringen wollen.

Was Herr Voss sagen will, ist, dass angeblich diejenigen, die die von ihm gemeinten Annahmen für richtig halten, kreative Leistungen ohne Vergütung erbracht sehen wollen.

Hier wird den Kritikerinnen und Kritikern des derzeitigen Reformtextes unterstellt, bewusst gegen die Interessen von Kreativen zu arbeiten. Tatsächlich üben viele selbst professionell Kreative die Kritik und tatsächlich richtet sich die Kritik nicht gegen das Ziel, das Auskommen von Kreativen zu sichern, sondern gegen die vorgeschlagenen Mittel. Upload-Filter würden zu starke negative Nebeneffekte zeitigen, während mildere Alternativen seit langem auf dem Tisch liegen.

Ich glaube, es kann nicht die Absicht dieser Menschen sein, diese Ausbeutungsmentalität großer Plattformen weiter unterstützen zu wollen.

In der Tat scheint aus dem weiter gewachsenen Lager der Kritiker des Reformtextes niemand vorzuhaben, Ausbeutung zu unterstützen. Das wundert auch nicht, denn von den Kritikern sind die wenigsten überhaupt Teil irgendeiner Verwerterindustrie. Was also soll die Geschichte von der angeblichen Ausbeutungsmentalitätsunterstützung?

Hierzu muss etwas ausgeholt werden, mit mehr Hintergrundinformation (weitere Befassung mit dem Text von Axel Voss gleich anschließend unten):

Zwist zweier Verwertungsindustrien

Die EU-Urheberrechtsreform, zu der der umstrittene Reformtext gehört, ist einer von mehreren Schauplätzen einer bereits seit langem geführten Auseinandersetzung zwischen zwei Verwertungsindustrien. Die eine kann man als die alte oder klassische Verwertungsindustrie bezeichnen, umfassend unter anderem große Plattenfirmen, Filmproduktionsfirmen und Großverlage. Die andere kann man als die neue oder digital-geborene Verwertungsindustrie bezeichnen. Zu ihr gehören Streamingdienste, Social-Media-Plattformen, Hostingdienste und viele mehr. Die Verwertungsgesellschaften wie in Deutschland etwa GEMA, VG-Wort und VG Bild Kunst kann man sich als dritte beteiligte Gruppe vorstellen, die sich allerdings in der Regel auf die Seite der klassischen Verwertungsindustrie stellt.

Die Zivilgesellschaft hat mit dieser Auseinandersetzung eigentlich wenig zu tun. Doch mit dem jetzigen Reformtext werden sämtliche Netznutzenden weltweit, also alle Bürgerinnen und Bürger (nicht zum ersten Mal) mit in den Konflikt hineingezogen. Sie bevölkern all die Plattformen des Netzes, auf denen Interaktion möglich ist und Dinge hochgeladen werden können. Unter diesen Uploads sind immer wieder auch urheberrechtlich geschützte Werke, die eigentlich ohne Erlaubnis nicht hochgeladen werden dürften. Nach bisheriger Rechtslage stellt das aber keine Nutzung durch die Plattformbetreibenden dar, sondern nur eine durch diejenigen Personen, die die Inhalte hochladen. Als praktisches Beispiel: YouTube ist rechtlich nicht dafür verantwortlich, dass manche YouTube-Nutzenden unerlaubt geschützte Werke auf ihre YouTube-Channels hochladen. YouTube muss aber umgehend solche Videos sperren, wenn es auf die (wahrscheinliche) Rechtswidrigkeit hingewiesen wird. Erst wenn YouTube zu spät nach dem Hinweis aktiv wird oder gar nicht, wird es selbst haftbar auf Schadensersatz. Dieses rechtliche Konstrukt hat viele Namen, wie Host-Provider-Privileg, secondary liability oder auch notice-and-takedown-Verfahren. Es funktioniert leidlich gut.

Aus Sicht der klassischen Verwertungsindustrie wäre es aber natürlich noch besser, wenn Plattformen wie YouTube nicht erst dann rechtlich zum Schadensersatz verpflichtet wären, wenn sie auf Hinweise zu spät reagieren, sondern bereits dann und jedes Mal erneut, wenn ein einmal als rechtswidrig gemeldetes Video noch einmal erfolgreich hochgeladen wird. Versucht wird das recht häufig, und dagegen eingesetzt werden die schon heute recht ausgefeilten Erkennungssysteme wie das von YouTube eingesetzte System „Content ID“.

Spätestens an diesem Punkt entstehen bei den meisten erste große Fragezeichen.

Aber YouTube filtert doch schon?

Warum um alles in der Welt soll denn YouTube – in fast allen Debatten zur Urheberrechtsreform in Brüssel wird fast nur YouTube als Beispiel genannt – gesetzlich zum Einsatz von Upload-Filtern gezwungen werden, wenn sie dort schon längst im Einsatz sind? Und überhaupt, wieso sollten z.B. Plattenfirmen ein Interesse daran haben, die von ihnen verwerteten Songs von YouTube entfernt zu bekommen, wo sie sie doch über das YouTube-System als zu ihrem Repertoire gehörend markieren und monetarisieren können, egal wer sie hochlädt?

Die Antwort ist banal: Dass YouTube den Plattenfirmen (und jedem sonst) Monetarisierungsmöglichkeiten gibt und wieviel Ausschüttung das 1-Mal-Abspielen dann am Ende in Zehntel-Cent wert ist, das richtet sich nach dem Geschäftsmodell von YouTube. Wie sehr YouTube auf seiner Hausplattform auf die Interessen der klassischen Verwerterindustrien eingeht, hängt letztlich vom Goodwill dieser Firma ab. Wenn eine Plattenfirma pro Abspielen eines Titels mehr fordert als YouTube abzugeben bereit ist, kann sich YouTube immer darauf zurückziehen, dass sie nach dem notice-and-takedown-Verfahren gesetzlich ja eigentlich überhaupt nicht zur Monetarisierung verpflichtet sind, sondern nur zur umgehenden Löschung. Vor so eine Wahl gestellt, nehmen die Plattenfirmen zähneknirschend die YouTube-Monetarisierungstarife hin. An einer Löschung hätten sie kein wirkliches Interesse, zumal sie alle längst eigene YouTube-Channels betreiben, auf denen sie die offiziellen Videos ihrer Songs verbreiten.

staydown-Regime = Durchleuchtung aller Uploads = Upload-Filter

Daher wird nun in Brüssel versucht, das eingespielte notice-and-takedown-Verfahren zugunsten eines notice-and-staydown-Regimes abzuschaffen. Die klassische Verwertungsindustrie hätte dann eine bessere rechtliche Position, denn YouTube und alle sonstigen Plattformen, die Uploads zulassen, würden bei notice-and-staydown viel schneller in rechtliche Schadensersatzhaftung geraten als jetzt. Sie müssten nicht nur auf Hinweis nachträglich löschen, sondern anschließend auch das erneute Hochladen einmal gemeldeter Werke unterbinden – was technisch nur über eine vollständige Durchleuchtung aller Uploads möglich wäre, also über die jetzt so heftig kritisierten Upload-Filter. Mit anderen Worten: Das Haftungsrisiko soll durch die jetzige Gesetzesnovelle erhöht werden, um der klassischen Verwerterindustrie gegenüber der digitalen eine bessere Verhandlungsposition zu bescheren.

Nun mag man sich an die vielen Geschichten von Ausbeutung und Knebelverträgen im Musik- und Filmbusiness erinnern und die Wortwahl von Herrn Voss in seiner Mail deshalb für besonders unglücklich halten, aber wie dem auch sei: Letztlich bekämpfen sich hier in erster Linie zwei recht mächtige wirtschaftliche Komplexe. Den ganzen Rest der Welt treffen allerdings die Kollateralschäden. Und die wären heftig, wenn ausgerechnet der jetzt teils unter Leitung von Axel Voss eingeschlagene Weg weiterverfolgt würde. Die Politik hat sich von den in Europa bestens etablierten Lobbys der klassischen Verwertungsindustrie schon sehr weit treiben lassen mit dem Argument, man müsse jetzt endlich mehr Geld für Europas Wirtschaft aus der angeblichen Gelddruckmaschine namens YouTube herausholen. Was passieren wird, wenn dies mittels Upload-Filter-Pflichten gemacht würde:

Zwei toxische Nebenwirkungen

Erstens würde die Schadensersatzhaftung nicht nur für YouTube, sondern grundsätzlich für alle Plattformen zugleich hochgeschraubt, darunter viele, deren Weiterbetrieb gefährdet wäre und die die Reform eigentlich auch gar nicht treffen will. Darum versucht sich die Politik derzeit an recht komplexen Ausnahme-Katalogen. So etwas kann Jahrzehnte von Rechtsstreitigkeiten nach sich ziehen, weil immer wieder im Einzelfall gerichtlich geklärt werden muss, wer nun unter die Ausnahmen fällt und wer nicht. Das gibt Axel Voss bei ZAPP auch offen zu.

Zweitens hätten Upload-Filter eine massive Dämpfung für jede Äußerung zur Folge, bei der geschützte Werke irgendwie Teil der Nachricht sind. Memes sind nur das offensichtlichste Beispiel hierfür, Zitate und Parodien sind weitere. Memes bestehen fast immer aus geschützten Bildern, etwa Standbildern aus Filmen oder Serien, die mit Text kombiniert werden. Rechtlich gesehen ist das meist zulässig, Upload-Filter würden dennoch anschlagen, denn sie können den recht komplexen Kontext eines Memes nicht korrekt bewerten. Es käme zu sogenanntem Overblocking. Das wiederum soll laut Reformtext dann nachträglich durch „Beschwerdemechanismen“ ausgebügelt werden.

Die Meinungs(äußerungs)freiheit wäre bereits durch den Beschwerde-Umweg deutlich beschädigt. Onlinediskussionen funktionieren nicht, indem einige Meinungsbeiträge mit Memes erst Tage später nach erfolgreicher Beschwerde sichtbar werden.

Upload-Filter und Leistungsschutzrecht stärken große Plattformen

Die Unterstellung mit der angeblich unterstützten Ausbeutermentalität ist auch deswegen absurd, weil gerade die von Voss befürworteten Upload-Filter die Wettbewerbsfähigkeit sehr großer Plattformen wie YouTube und Facebook gegenüber den kleinen weiter stärken und ihnen neue Geschäftsfelder bescheren würden. Diese großen Plattformen setzen bereits Filter ein und bieten diese Software teils als Dienstleistung an. Der Vorschlag von Axel Voss würde diesen Markt massiv vergrößern. Zugleich würde die wirtschaftliche Position kleinerer Plattformen, die derzeit gegenüber YouTube & Co. einen Kostenvorteil haben, verschlechtert. Sie müssten die Filtersoftware bei ihren großen Konkurrenten einkaufen.

Keiner - und wirklich absolut KEINER - im Europäischen Parlament will eine „Zensur“, „Filter“, „Link-Steuer“ oder die Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit, wie dies plakativ gern unterstellt wird.

Zensur will im Rechtsausschuss des Europaparlaments sicherlich niemand, aber Filter für alle möglichen Arten von “illegal content” sind derzeit in Brüssel in aller Munde, nicht nur bei der EU-Kommission und bei der deutschen Regierung, sondern auch bei den Parlamentarierinnen und Parlamentariern.

Genau das, was da jetzt netzweit in Form von Upload-Filterpflichten eingeführt werden soll, würde am Ende eine Zensur-Infrastruktur darstellen, deren Missbrauchspotenzial gigantisch wäre. Zwecks Urheberschutz würde hier eine technische Struktur verordnet, die ohne viel Aufwand auch auf alle missliebigen Inhalte angewandt werden könnte, eben auch politische. Doch auch das bestreitet Axel Voss und geht erneut zu Diffamierungen über:

Und es ergibt sich auch nicht aus den zugrundeliegenden Kompromissen. Wer etwas Anderes behauptet, verbreitet bewusst Falschinformationen und dies auch noch im wirtschaftlichen Interesse und zur Unterstützung der großen Internetplattformen.

Genau das aber ergibt sich aus den Kompromissen, die nämlich “Maßnahmen” einfordern, um vorab das Erscheinen bestimmter Inhalte im Netz zu unterbinden. Das so entstehende flächendeckende Filtersystem soll zwar nur gegen Urheberrechtsverletzungen eingesetzt werden, ließe sich aber in Zukunft von anderen Akteuren genauso gegen bestimmte Meinungen, unliebsame Fotos von einflussreichen Personen und alles erdenkliche sonst einsetzen. Wehret den Anfängen!

Wir sprechen für unsere Spenderinnen, Spender und Mitglieder

Diese Warnung vor einer missbrauchbaren Infrastruktur, um die uns jeder Autokrat beneiden würde, hat nicht das Geringste mit wirtschaftlichen Interessen zu tun, sondern mit dem Grundrecht der Meinungsfreiheit. Wikimedia Deutschland ist ein spendenfinanzierter gemeinnütziger Verein und hat folglich weder selbst wirtschaftliche Interessen noch ist der Verein von wirtschaftlichen Interessen Dritter abhängig, schon gar nicht von denen irgendwelcher Netzkonzerne. Schon im Namen der vielen Spenderinnen und Spender und unserer rund 65.000 Mitglieder können und wollen wir die infamen Unterstellungen der Mail von Herrn Voss hiermit in aller Deutlichkeit zurückweisen.

Was wir wollen, ist eine faire Vergütung der Urheber auch in einem digitalen Zeitalter und eine faire Vergütung derer, die die Verbreitung dieser geschützten Leistung wirtschaftlich und strukturell absichern.

Das ist ein legitimes Ziel, dem sich auch die meisten Kritiker der Reform anschließen würden. Es gibt deutlich bessere Wege, dies durchzusetzen. Auch wenn Filterungspflichten die erwünschte stärkere Verhandlungsposition klassischer Verwertungsindustrien gegenüber ihrer neuen digitalen Konkurrenz bringen würden – die negativen Nebeneffekte wären zu groß! Der durchaus legitime Zweck heiligt eben nicht jedes Mittel.

Alternative zur Stärkung der Rechteinhabenden: APIs

Es gäbe andere Wege, etwa eine Verpflichtung marktdominanter Netzkonzerne, spezielle Schnittstellen (sogenannte APIs) für Rechteinhabende anbieten zu müssen, über die diese vereinfacht nach etwaigen rechtswidrigen Uploads in die Systeme eingreifen könnten. Das würde nicht die Gefahren der Vorzensur bergen. Es wurde als Alternative aber von den Hardlinern nicht einmal in die Diskussion einbezogen.

In diesem Zusammenhang möchte ich auch gerne noch einmal darauf hinweisen, dass das geistige Eigentum grundrechtlich geschützt ist. Mit anderen Worten: die Meinungsfreiheit gilt nicht dort, wo die Grundrechte anderer verletzt werden, d.h. Urheberrechtsverletzungen sind natürlich nicht von der Meinungsfreiheit geschützt und in diesem Fall muss eine Abwägung zwischen beiden Grundrechten stattfinden.

Das ist soweit richtig, nur läuft eben diese Abwägung schief, wenn die Maßnahmen zu drastisch werden.

Im Grundgesetz steht in Artikel 14 Abs. 2: “Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.” Auch das Eigentum muss also weichen, wenn es höhere Güter zu schützen gilt. Darum können Grundstücke notfalls enteignet werden, um Bahnstrecken bauen zu können. Und darum gibt es die sogenannten Schranken des Urheberrechts: Gesetzliche Nutzungsrechte in bestimmten Fällen, die Urheberinnen und Urheber ganz schlicht hinzunehmen haben.

Auch im Internet werden Rechtsbrüche verfolgt

Wer Herrn Voss liest, könnte zudem glatt den Eindruck bekommen, geistiges Eigentum sei im Netz dem freien Klauen preisgegeben. Dem ist nicht so. Millionen Menschen in Deutschland wurden über Jahre in Massenverfahren wegen Filesharing abgemahnt und hohe Summen an Schadensersatz eingestrichen. Das Lizenzgeschäft rund um Musikstreaming, Filme und Serien brummt. Wer Rechtsschutz wegen Urheberrechtsverletzungen im Netz sucht, hat hochspezialisierte Kanzleien und Staatsanwaltschaften zur Verfügung und sitzt im Zweifel immer am längeren Hebel. Auch notice-and-takedown funktioniert in weiten Teilen recht zuverlässig. Dazu passend:

Der Schutz der Rechte an geistigem Eigentum und die Förderung eines breiteren Zugangs zu Werken sind die Säulen der wirtschaftlichen Nutzung des Internets und Grundlagen der digitalen Wirtschaft der EU. Doch gerade dort sind immer mehr urheberrechtlich geschützte Werke illegal und ohne Genehmigung der Rechteinhaber erhältlich. Das ist ein Problem!

Diese Behauptung steht hier ohne Beleg im Raum. Eher für das Gegenteil gibt es aktuelle Belege: Erst kürzlich kam eine von der EU-Kommission in Auftrag gegebene Studie (unbeabsichtigt) ans Licht, die feststellt, dass etwa die “echte” Piraterie im Netz allenfalls bei ganz aktuellen Kinofilmen nennenswerten Schaden (ca. 5% des Umsatzes) verursacht. Worum es hier, siehe oben, wirklich geht, ist:

Böses Netz, arme Künstler

Einige (längst nicht alle) europäischen klassischen Verwerter hätten gern ein größeres Stück von den Einnahmen großer Plattformen aus Übersee. Das ist verständlich. Warum sollte man als Unternehmen denn nicht versuchen, die Politik dazu zu bekommen, die eigene Wettbewerbsposition gesetzlich zu stärken? Das lässt sich in diesem Falle auch sehr gut kombinieren mit einem “Europa gut, USA schlecht” und einem “Das böse Netz gegen die armen Künstler”. Anders als bei den Verwertungsgesellschaften wie GEMA & Co. darf man bei Major-Labels und Verlagskonzernen auch in Europa allerdings deutliche Zweifel haben, ob es da immer wirklich um die armen Künstlerinnen und Künstler geht. Sie verdienen im Sinne der Aktionäre und Gesellschafter im Hintergrund gerade auch mit Werken, deren Urheberinnen und Urheber längst tot sind.

Zu Artikel 11:

Artikel 11 führt KEINE Link-Steuer ein.

Das ist richtig. Das hier gemeinte neue “Leistungsschutzrecht für Presseverleger” ist keine Steuer und betrifft auch eher kurze Textschnippsel (Engl.: Snippets) als Links, aber:

Je nach Ausgestaltung betrifft es selbst kleinste Textteile, etwa Teile von Überschriften von Presse-Artikeln, die in Links zu diesen Artikeln enthalten sind. Solche Links finden sich zu Millionen in der Wikipedia, als Belegstellen. Und der Rechtsauschuss unter Herrn Voss hat auch erst auf massiven Druck hin eine ausdrückliche Ausnahme für Hyperlinks in den Reformentwurf aufgenommen. Die Parlaments-Fassung des Reformentwurfs ist insoweit entschärft, ist aber keineswegs das letzte Wort. Vielmehr entscheidet sich erst im äußerst intransparenten sogenannten Trilog in den kommenden Monaten, ob es am Ende dieses neue Leistungsschutzrecht wirklich geben und wie es dann ggf. genau aussehen wird.

Insofern ist die Gefahr, dass Hyperlinks am Ende doch erfasst werden, in keiner Weise gebannt.

Die private Nutzung von Hyperlinks bleibt völlig kostenfrei, denn diese ist von dem Leistungsschutzrecht des Art. 11 ausgenommen. Es ist somit völlig falsch, von einer Link-Steuer zu sprechen. Ich kann daher auch nicht erkennen, wie Sie bei der privaten Nutzung Nachteile haben sollten.

Wie oben gesagt: Herr Voss führt hier eine Ausnahme an, zu der er erst durch massiven Druck gebracht werden musste und deren Fortbestehen im Trilog alles andere als sicher ist.

Außerdem weiß er in Wahrheit sehr genau, woher der Begriff “link tax” kommt. Er kommt aus der englischsprachigen Debatte dazu und liegt insofern nahe, als der korrekte Ausdruck “ancillary copyright for press publishers” sehr umständlich ist und es im Kern um Dienste wie Google News geht, die automatisiert erstellte Anreißer (eben Snippets) von Online-Presseartikeln anzeigen und ansonsten auf die Artikel weiter verlinken. Diese Dienste sollen nach dem Willen europäischer Medienhäuser wie der Axel Springer AG für die angezeigten kurzen Snippets zahlen, obwohl diese unterhalb der Schwelle liegen, ab der das reguläre Urheberrecht greift, und obwohl durch die ebenfalls erfolgende Verlinkung zusätzliche Besucher auf die Presse-Artikel gelenkt werden. Die Bezeichnung “link tax” oder “Link-Steuer” ist also rechtstechnisch schief, inhaltlich aber nicht fernliegend.

Ausschließlich für die kommerzielle Verwendung können Presseverleger eine Vergütung verlangen. Das halte ich auch für absolut gerechtfertigt.

Diese Unterscheidung in private und kommerzielle Hyperlinks ist einigermaßen unsinnig. Im Internet wird fast kein Dienst ohne Werbung betrieben. Seit das Internet den militärischen und universitären Backbones entwachsen ist, ist es auf fast allen Ebenen in Form privatwirtschaftlich kommerziell arbeitender Diensteanbieter organisiert. Selbst wenn man also einen privaten Blog mit Links betreibt, läuft der im Zweifel auf einer kommerziellen Blog-Hosting-Plattform.

Die von Herrn Voss als so eindeutig erlaubten “privaten” Hyperlinks würden daher in Wahrheit durch das neue Leistungsschutzrecht für Presseverleger zu einer großen rechtlichen Grauzone.

Die Presseverleger tragen die rechtliche und wirtschaftliche Verantwortung für die Inhalte und müssen daher auch entsprechend gestärkt werden. Dies nicht zuletzt um den Qualitätsjournalismus zu stärken. Es werden ihre Inhalte genutzt, also müssen auch sie eine Vergütung verlangen können.

Diese Begründung ist zunächst einmal zirkulär: Bisher ist das Anzeigen von Snippets rechtlich gesehen keine Nutzung. Erst durch ein neues Leistungsschutzrecht würde es zu einer Nutzung erklärt.

Neue Grauzonen im Urheberrecht

Außerdem geht es, wie oben gesagt, um ein Abkassieren bei News-Aggregatoren. Die rechtliche Position von Presseverlagen ist bereits heute sehr gut, da Journalistinnen und Journalisten die Urheberrechte in den meisten Fällen durch sogenannte Total-Buyout-Verträge umfassend den Verlagshäusern einräumen müssen. Ein neues eigenes Schutzrecht der Presseverlage braucht es daher für eine Stärkung nicht, wohl aber fürs Erschließen einer neuen Geldquelle. Die durch das neue Leistungsschutzrecht erzeugten rechtlichen Grauzonen scheinen sogar im Rechtsausschuss des Europaparlaments bei sehr vielen deutliche Zweifel geweckt zu haben, sodass Herr Voss seinen Textvorschlag nur mit sehr dünner Mehrheit von nur einer Stimme durchbekommen hat.

Auch die Möglichkeit sich über verschiedene Nachrichtenquellen zu informieren, wird überhaupt nicht eingeschränkt, es ist nämlich weder Teil des Art. 11 noch kann das Verlegerrecht logischerweise überhaupt solche Konsequenzen erzeugen, noch wäre der politische Wille dafür da, denn: eine vielfältige Presselandschaft stellt ein hohes gesellschaftliches Gut dar.

Nun ja. Wenn Verweise auf Presse-Erzeugnisse zukünftig Geld kosten, werden viele News-Aggregatoren entweder ganz eingestellt (wie etwa Google News in Spanien, nachdem hier bei uns in 2014 ein solches neues Leistungsschutzrecht eingeführt wurde) oder sie werden kostenpflichtig. Damit wird es unterm Strich natürlich schwieriger für Bürgerinnen und Bürger, die Nachrichtenquellen überhaupt zu finden. Alternativ werden wie in Deutschland dem größten Wettbewerber Google Gratis-Lizenzen erteilt.

Kampf den (kleinen) Aggregatoren

Die Verlagshäuser haben es schon immer selbst in der Hand, die Anzeige ihrer Artikel bei News-Aggregatoren durch entsprechende Einstellung ihrer Server zu unterbinden. Das könnte aber natürlich zu Sichtbarkeits- und damit Bedeutungsverlust der Artikel führen. Und es ist viel verlockender, ein bei Google News & Co. vermutetes lukratives Geschäftsmodell durch neue Schutzrechte anzuzapfen als endlich funktionierende eigene Angebote zu entwickeln, für die Leserinnen und Leser gerne bereits sind, zu zahlen. Oder am besten zapft man zusätzlich zu eigenen Angeboten an. Dass News-Aggregatoren als Dienstleistungskategorie dadurch verschwinden, scheint egal zu sein.

Zu Artikel 13:

Wir wollen mit Art. 13 erreichen, dass die Plattformen, die ihre Geschäftsmodelle auf der Verbreitung von urheberrechtlich geschützten Inhalten aufgebaut haben, für diese auch bezahlen.

An diesem Ziel wäre erst einmal nichts auszusetzen, aber hier wird ein Missstand behauptet, der so nicht existiert. Auf den hier gemeinten Plattformen wie YouTube verdienen Plattenlabels, Filmproduktionsfirmen und unzählige weitere bereits heute gutes Geld, und zwar auch mit den durch einfache User “wild” hochgeladenen Inhalten. In Wirklichkeit geht es daher nicht darum, dass die Plattformen überhaupt bezahlen, sondern dass sie mehr bezahlen sollen. Nicht direkt an arme Einzelkünstler mit selbstgepflegtem YouTube-Channel, sondern an Medienhäuser und Major Labels. Die möchten mehr vom neuen digitalen Kuchen, den die lästige neue Konkurrenz eigentlich erst möglich gemacht hat. (Siehe zu alledem auch oben die Ausführungen zum Hintergrund des Konflikts zwischen klassischer und digitaler Verwerterindustrie).

Wir verlangen daher eine Lizenzpflicht, so dass die Rechteinhaber, nämlich die Künstler, auch fair für ihre Leistung entlohnt werden. Es ist nicht akzeptabel, dass große Plattformen deren Werke veröffentlichen, riesige Gewinne erzielen und diejenigen, die die Werke erarbeitet haben, nichts erhalten. So ist es jedoch momentan. Die Künstler gehen weitgehend leer aus!

Nochmal: “Die Künstler” werden immer gerne vor den Karren derjenigen gespannt, die irgendetwas am Urheberrecht oder seiner Durchsetzung verschärfen wollen. Die klassische Verwerterindustrie hat jedoch vor allem eigene Gewinninteressen. Künstlerinnen und Künstler sind Werkzeuge und Ware in diesem Geschäft, und in der gegenwärtigen Lobby-Schlacht in erster Linie Argumentationsmittel.

Vertreten Verlage und Labels "Die Künstler"?

Dass sie “weitgehend leer ausgehen” oder gar “nichts erhalten!” darf im Übrigen bezweifelt werden. Inzwischen gibt es eine ganze Generation aufstrebender Kreativer, die sich direkt auf Plattformen sehr erfolgreich selbst vermarkten – also ohne sich, wie es früher unumgänglich war, zur Spekulationsmasse großer Labels und Verlage zu machen. Dass diese klassische Verwertungsindustrie ihre Felle davonschwimmen sieht und mit Zukunftsangst zu kämpfen hat, mag erklären, warum im Rahmen der jetzigen Reform derart drastische Maßnahmen wie Upload-Filter durchgedrückt werden sollen. Man will endlich den Erfolg der Plattform-Ökonomie einfangen und für die alte Garde der europäischen Verwertungsunternehmen nutzbar machen. Dass denen die Nebeneffekte auf Freiheitsrechte im Netz egal ist, ist verständlich. Der Politik aber sollten sie nicht egal sein.

Und Nein, Herr Voss: Ein paar vorgeschriebene Beschwerdemechanismen reichen nicht, um das auszubügeln.

Unsere Prämissen sind deshalb:

1) dass die Plattformen mehr Verantwortung für die urheberrechtlich geschützten Inhalte auf ihren Plattformen übernehmen und

2) Urheberrechtsverletzungen von Beginn an, soweit es möglich ist, vermeiden.

Das klingt gut, aber vor allem “Prämisse” (das Wort meint eigentlich Vorannahme) Nummer 2 enthält weiteren Zündstoff für die Debatte:

Plattformen sollen Urheberrechtsverletzungen vermeiden, die andere veranlassen, nämlich mündige und rechtlich selbst für sich verantwortliche Bürgerinnen und Bürger, eben die User der Plattformen. Mit anderen Worten sollen die Plattformen zu Hilfspolizisten gemacht, die Rechtsdurchsetzung also noch weiter als bisher schon privatisiert werden. Nicht nur stärkt das die Position gerade der ganz großen Plattformen gegenüber den Usern weiter, es zeugt auch von einem recht problematischen Rechts- und Staatsverständnis.

Hierzu haben wir die Plattformen definiert, die unter den Art. 13 fallen sollen. Danach sind nur Plattformen betroffen, deren Zweck es ist, von ihren Nutzern hochgeladene urheberrechtlich geschützte Werke zu speichern und diese anderen wieder öffentlich zugänglich zu machen. Wenn die Plattformen diese Inhalte dann auch noch entsprechend organisatorisch optimieren, kann man nach der EuGH-Rechtsprechung davon ausgehen, dass sie um den urheberrechtlichen Schutz ihrer Inhalte wissen.

Gewaltenteilung: Wer macht eigentlich die Gesetze?

Hier kommt ein interessanter neuer Aspekt mit hinein. Der oberste Gerichtshof der EU hat in den letzten Jahren gerade im Urheberrecht immer weiter ausgreifende sogenannte Rechtsfortbildung betrieben und damit letztlich die Arbeit des EU-Gesetzgebers gemacht (also der EU-Institutionen Kommission, Parlament und Rat). Die EU-Institutionen haben das, trotz der den Gerichten fehlenden demokratischen Legitimation über Wahlen, geschehen lassen. Zu Beginn der jetzt so umstrittenen Reform hatte es dann die Hoffnung gegeben, dass die Politik den EuGH endlich in die Schranken der Gewaltenteilung weist und selbst wieder das Steuer übernimmt, aber Axel Voss macht es hier wieder anders herum: Er zieht die Ansicht des Gerichts, das sein Gesetz später anwenden soll, zur Begründung eben dieses Gesetzes heran … verkehrte Gesetzgebungswelt.

Mit anderen Worten, der Großteil der im Internet existierenden Plattformen fällt gar nicht unter den Art. 13. Und dies selbst dann nicht, wenn sich doch einmal ein urheberrechtlich geschütztes Werk auf der Plattform befinden würde. Dieses müsste dann entsprechend nach dem derzeitig existierenden Recht beurteilt werden, welches durch Art. 13 nicht verändert wird.

Hier zieht Voss einen ungedeckten Wechsel auf die zukünftige Auslegung seines Gesetzes durch die Gerichte, die er weder vorhersehen noch steuern kann. Er selbst hat gegenüber dem NDR eingeräumt, dass sich erst durch die Rechtsprechung der kommenden Jahre würde zeigen müssen, wer nun von Artikel 13 erfasst werde und wer nicht. Zitat:

‘Im Gespräch mit ZAPP konnte er [Axel Voss] allerdings noch nicht mal sicher sagen, ob etwa Facebook unter die Regeln fallen würde oder nicht - Kriterium soll sein, ob das jeweilige Geschäftsmodell auf dem Speichern und Veröffentlichen solchen urheberrechtlich geschützten Materials basiere. "Das würde Rechtsauslegung des Europäischen Gerichtshofs sein." ‘

Sendung ZAPP vom 13.06.2018, Norddeutscher Rundfunk

Wer betroffen ist? Das soll der EuGH klären

Wieder will der EU-Gesetzgeber also, diesmal vertreten durch Herrn Voss, entscheidende Fragen den Gerichten überlassen. Dass damit für alle das Netz Nutzenden zumindest über Jahre, vielleicht aber sogar dauerhaft ein ganzer Berg an Rechtsunsicherheit erzeugt wird, ändert offenbar nichts. Grund zur Freude hat am Ende vor allem die Anwaltschaft.

Die Sorge z.B. um Online-Enzyklopädien, wie Wikipedia, ist völlig unbegründet, da diese aus dem Anwendungsbereich des Art. 13 explizit ausgenommen sind.

Sogar diese Aussage stimmt so nicht, obwohl da tatsächlich im Entwurf des Rechtsausschusses eine Ausnahme für Online-Enzyklopädien steht. Der Grund? Wikipedia selbst enthält nur Texte. Sämtliche Medien wie Fotos, Tonaufnahmen und so weiter lagern dagegen bei einem separaten Wikimedia-Projekt mit eigener Plattform: Wikimedia Commons. Dort sind sie auch direkt abrufbar, ohne Einbettung in die Wikipedia-Artikel. Wikimedia Commons fällt daher klar aus der Wikipedia-Ausnahme raus.

Herr Voss würde nun wahrscheinlich darauf verweisen, dass doch zusätzlich auch alle nicht-kommerziellen Plattformen im Reformtext eine Ausnahme spendiert bekommen hätten. Das stimmt auch. Und obwohl die Auslegung der Eigenschaft “nicht-kommerziell” unter Juristen als im Einzelfall extrem schwierig gilt (Stichwort: Rechtsunsicherheit), sieht es auf den ersten Blick so aus, als würde Wikimedia Commons von zumindest dieser Ausnahme dann erfasst und somit nicht zum Betreiben von Upload-Filtern verpflichtet werden.

Also sind die Bilder in der Wikipedia doch ausgenommen?

Von Ausschussberatungen wie denen unter Leitung von Axel Voss darf man einen zweiten Blick erwarten und der fördert ein Problem zutage:

Da es keine generelle, einheitliche gesetzliche Definition von “nicht-kommerziell” gibt, müssten Gerichte beim neuen Artikel 13 besonders einzelfallbezogen zu Werke gehen. Und der Fall Wikimedia Commons beinhaltet, dass alle dort lagernden Medieninhalte – wie bei Open-Content-Projekten üblich – auch zur kommerziellen Nachnutzung durch jedermann freigegeben sind. Vor diesem Hintergrund könnte ein Gericht zu dem Schluss kommen, dass es für Kommerzialität im Sinne des Artikels 13 bereits ausreicht, wenn etwa die Bilder der betreffenden Plattform mit den Angeboten professioneller Fotografen wirtschaftlich ernsthaft konkurrieren. Das trifft auf die teils sehr hochklassigen Fotos auf Wikimedia Commons ohne Zweifel zu.

Nichts und niemand, auch nicht Axel Voss, kann heute garantieren, dass Gerichte, allen voran der so rechtsfortbildungsfreudige EuGH, morgen nicht diesen Weg einschlagen werden in der hehren Absicht, Geschäftsmodelle von Fotografen vor kostenfreien Plattformangeboten zu schützen.

Derlei rechtliche Fußangeln sind symptomatisch für Ausnahmenkataloge. Deswegen haben wir immer wieder dafür plädiert, dass neue Haftungsregelungen von vorne herein nur für bestimmte Akteure aufgestellt werden sollten, nämlich für Unternehmen mit Marktdominanz im Sinne des Kartell- und Wettbewerbsrechts. Der jetzige Reformtext dagegen “schießt” gewissermaßen mit der Haftungs-Schrotflinte auf alle, nachdem vorher ein paar schusssichere Westen in Form von Ausnahmen verteilt wurden, und man hofft inständig, sich bei der Verteilung nicht vertan zu haben. Mit gutem gesetzgeberischen Handwerk hat das wenig zu tun.

Um den Schutz der urheberrechtlichen Werke zu gewährleisten, sollen die Plattformen aufgrund der Informationen, die die Rechteinhaber zur Verfügung stellen müssen, sicherstellen, dass die Plattformen erkennen können, dass es sich um ein geschütztes Werk handelt.

Um das leisten zu können, müssten die Plattformen logischerweise sämtliche Uploads durchleuchten. Ein Umstand, den Axel Voss weiter unten schlicht bestreitet.

Hierfür wird Erkennungssoftware eingesetzt, die seit ca. 10 Jahren bereits existiert und zum Beispiel von Youtube auf freiwilliger Basis eingesetzt wird (ohne dass es bis heute eine Anti-Zensur-Kampagne ausgelöst hat).

Für Kampagnen war das Problem bislang nicht schlimm genug und es ging nur um Unternehmensentscheidungen. Beim kritisierten Reformtext handelt es sich dagegen um einen Gesetzesentwurf, dem sich jede und jeder zu beugen hätte, wenn er so in Kraft träte. Dass Herr Voss als Jurist diesen Unterschied nicht kennen sollte, erscheint unwahrscheinlich.

Fehler im Filter-System: bekannt und lästig

Außerdem gibt es deutliche Kritik an fehlerhaften Filterungen bei YouTube. Sie ist so alt wie das dortige Content-ID-System selbst und teils heftig. Es gibt ganze Fallsammlungen von Videos, die zu Unrecht blockiert wurden, weil Content-ID den Kontext eines Uploads nicht erkennen kann oder einfach falsche Zuordnungen vornimmt.

Da die Software nur auf Grundlage der von den Rechteinhabern zur Verfügung gestellten Informationen arbeitet, können denklogisch auch nur deren urheberrechtlich geschützte Werke erkannt werden.

Angesichts der genannten Fallsammlungen zur Software Content ID, die ebenfalls auf Grundlage von Informationen von Rechteinhabern arbeitet, muss man zu dem Schluss kommen, dass “denklogisch” im Wortschatz von Herrn Voss wohl so etwas sein muss wie die Negation von logisch. Denn immer wieder kommt es vor, dass diese Softwaresysteme Teile von bei ihnen durch Rechteinhaber registrierten Videosequenzen in später hochgeladenen Videos wiedererkennen und diese blockieren, und sich erst nach Protest herausstellt, dass es sich um Videoabschnitte handelt, die von einer Dritten Quelle stammten und an denen keiner der Beteiligten exklusive Rechte hatte.

Axel Voss dagegen meint, die von Rechteinhabern registrierten Informationen seien “denklogisch” immer korrekt.

Die Maßnahmen, die die Plattformen hier also ergreifen sollen, um Urheberrechtsverletzungen zu erkennen, müssen natürlich ohne Frage in Einklang mit Grundrechten stehen.

Das stimmt, aber die Aneinanderreihung von “natürlich” und “ohne Frage” verheißt nichts Gutes ...

Hier die wesentlichen Richtigstellungen der falsch im Umlauf kreisenden Behauptungen:

(“im Umlauf kreisend”, wo andere nur “befindlich” sind)

1) Dort, wo Plattformen lizenzieren, wird kein Upload verhindert.

Plattformen sollen also möglichst für jedes Zeigen von Inhalten zahlen, sogar wenn die jeweiligen Uploader sich auf gesetzliche Schranken berufen können. Das nun wäre mit Sicherheit ein nicht zu rechtfertigender Eingriff in das grundgesetzlich geschützte Eigentum (hier: Das der Plattformbetreiber), wie ihn Herr Voss oben so vehement ablehnt. Durchleuchtet werden müsste zudem trotzdem alles, weil anders ja kaum zu ermitteln ist, an welchen Rechteinhaber wieviel zu zahlen ist.

2) Dort, wo Rechteinhaber keine Informationen zur Verfügung stellen, wird kein Upload verhindert.

Abgesehen von falsch hinterlegten Informationen und Fehlzuordnungen (siehe oben) mag das stimmen. Die teuren Filtersysteme müssten dennoch von allen Plattformen vorgehalten werden, denn es würde ja eine einzige Information eines einzigen Rechteinhabers reichen, und der gesamte Upload-Verkehr müsste permanent nach diesem einen Werk durchleuchtet werden.

3) Dort, wo Inhalte hochgeladen werden, die nicht urheberrechtlich geschützt sind, wird kein Upload verhindert.

Wenn hiermit gemeint sein sollte, dass die Filtersysteme erkennen können sollen, ob ein Inhalt urheberrechtlich geschützt ist oder nicht, müsste man an der fachlichen Qualifikation des Juristen Axel Voss zweifeln. Sogar gestandene Urheberrechtlerinnen und Urheberrechtler tun sich bisweilen sehr schwer, die Grenze zwischen schutzfähigen und nicht schutzfähigen Inhalten korrekt zu ziehen. Algorithmen mit mangelhafter Kenntnis der Umstände sind hier vollends chancenlos.

Das Urheberrecht ist im Internet überall

Falls Herr Voss dagegen meint, menschliches Handeln ohne urheberrechtlichen Bezug sei vom Urheberrecht nicht erfasst, dann, nunja, ist das logisch (“denklogisch”?) zweifellos korrekt. Im Netz ist allerdings kaum etwas klar ohne urheberrechtlichen Bezug, weil das allermeiste in Form von Schrift oder Bildern ausgedrückt und kommuniziert wird, also in den kanonischen Festlegungsformen des Urheberrechts. Die praktisch auf Null gesunkene sogenannte Schöpfungshöhe tut das ihrige dazu, dass heutzutage fast alle nicht ganz winzigen Text-, Audio- und Videoinhalte irgendeinem rechtlichen Schutz unterliegen.

4) Dort wo jemand eigene urheberrechtlich geschützte Inhalte auf Plattformen hoch lädt oder hochladen lässt, wird kein Upload verhindert.

Das geht zum einen von der unrealistischen Voraussetzung aus, dass die Filtersysteme keine Fehlzuordnungen vornehmen und alle Rechteinhaber zu 100% korrekt auch wirklich nur die eigenen Inhalte als eigene registrieren. Zum anderen ist die Behauptung schlicht falsch, soweit die eigenen Inhalte dank gesetzlicher Lizenzen (Schrankenregelungen, siehe oben) berechtigterweise fremde Werke beinhalten.

Dieser Punkt ist eminent wichtig, kommt aber gleich doppelt vor, daher zunächst weiter ...

5) Artikel 13 lässt auch wie bisher die sog. Memes im Hinblick auf die Parodie- oder Zitatfreiheit zu.

Das wäre ja nochmal schöner! Natürlich lässt Artikel 13 Parodien und Zitate weiterhin zu, das muss er auch. Dazu gibt es schließlich die bereits genannten Schrankenregelungen in den Urheberrechtsgesetzen aller Staaten der Welt, wenn auch teils unterschiedlich weit gefasst. Aber darum geht es hier nicht.

Filter kennen keinen Kontext

Es geht darum, was die von Artikel 13 vorgeschriebenen Filtersysteme de facto zulassen und was nicht. Und Schrankenregelungen richten sich nunmal nach dem Nutzungskontext, also dem Warum und dem Wofür der Verwendung eines Bildes, Textes, Songs usw.  Genau diese Faktoren aber kann kein Filtersystem der Welt bislang erkennen, auch Content ID nicht. Die Hersteller der Filtersysteme investieren auch überhaupt nicht in eine solche Fähigkeit, weil das sinnlos wäre. Es bräuchte schon die berühmte Super-KI, die eines Tages Bewusstsein erlangt, um diese Erkennungsleistung zu erbringen. Diese KI hätte dann aber bestimmt besseres zu tun, als die Filterungsvorstellungen von Herrn Voss Wirklichkeit werden zu lassen (z.B. Übernahme der Weltherrschaft).

De facto hieße das: Ab flächendeckender Einführung von Upload-Filtern gemäß Artikel 13 wären direkte Uploads, die auf Schrankenregelungen gestützt zulässig sind, kaum mehr möglich, und zwar umso weniger, je besser die Erkennungsrate der Filter ist. All diese Inhalte müssten erst über irgendwelche Beschwerdemechanismen nachträglich freigekämpft werden. Sollte so eine faktische Aushöhlung der Schrankenregelungen per Gesetz verordnet werden, wäre das ein Fall fürs Verfassungsgericht.

Es ist somit völlig maßlos, ungerechtfertigt, überzogen, sachlich falsch und gelogen von „Filtern aller Inhalte“, „Upload-Blockern“ oder gar von einer „Zensur“ zu sprechen. Das ist im Übrigen auch völlig verantwortungslos!

“Upload-Blocker” ist uns in der Debatte noch nie als Begriff untergekommen, zu Zensur wurde bereits oben ausgeführt und die Bewertung, auf wessen Äußerungen die 6 genannten Adjektive eher zutreffen, soll an dieser Stelle den Lesenden überlassen bleiben.

Wenn es nun dennoch zu einer ungerechtfertigten Verhinderung des Uploads käme, dann müssen die Plattformen ein Verfahren anbieten, dass die Rechte klärt bzw. Beschwerden zügig bearbeitet. Die jeweilige Entscheidung der Plattform darüber, einen Upload zuzulassen oder nicht, kann darüber hinaus noch gerichtlich überprüft werden. Es wird also wirklich jedem Beteiligten und jeder Seite Sorge getragen. Eine Unverhältnismäßigkeit kann ich hier nicht erkennen.

Das Eigentum hat Vorfahrt, während sich Äußerungsrecht und Schrankenregelungen im Streitfall durch die Instanzen kämpfen müssen – wer diese Unverhältnismäßigkeit nicht erkennt, will sie vielleicht einfach nicht erkennen. Das letzte Wort soll dennoch MEP Axel Voss haben:

Wir als EVP-Fraktion versuchen, die Interessen sowohl der Urheber als auch der Verbraucher zu schützen, in dem die Tragfähigkeit und die Vielfalt der europäischen Kreativ- und Kulturwirtschaft erhalten werden. In Art. 11 und 13 kommt diese Balance zum Ausdruck.

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