Wikimedia Deutschland/2015 annual plan/de/Einleitung
DIESE SEITE ENTHÄLT EINLEITENDE/ERKLÄRENDE WORTE ZUM JAHRESPLAN 2015 VON JAN ENGELMANN, WIKIMEDIA DEUTSCHLAND. DER EIGENTLICHE ENTWURF DES JAHRESPLANS 2015, DER AM 18.4.15 DER MITGLIEDERVERSAMMLUNG ZUM BESCHLUSS VORGELEGT WIRD, VERLINKT HIER HIN.
In der Satzung von Wikimedia Deutschland ist der Vereinszweck festgehalten: Wir fördern die Erstellung, Sammlung und Verbreitung Freier Inhalte (engl. Open Content) in selbstloser Tätigkeit, um die Chancengleichheit beim Zugang zu Wissen und die Bildung zu fördern.
Aber wer ist dieses Wir?
editSo wie Wikipedia mehr als eine Website ist, so ist auch Wikimedia Deutschland mehr als die Summe seiner Teile: Die tragende Säule, die unsere Vereinsarbeit seit jeher ermöglicht, sind die tausenden Freiwilligen in den Wikimedia-Projekten – allen voran die Autoren und Fotografen der Wikipedia – und im Verein. elf Jahre nach der Gründung der gemeinnützigen Gesellschaft zur Förderung Freien Wissens stützt sich Wikimedia Deutschland heute außerdem auf eine hauptamtliche Geschäftsstelle, mehr als 20.000 Mitglieder und hunderttausende Spenderinnen und Spender. Anders als in den Anfangstagen ist der Verein mittlerweile auch Teil einer internationalen Bewegung. All das eröffnet uns Möglichkeiten, an die vor elf Jahren noch nicht zu denken war. All das ist das Wir – bei dem Freiwillige unsere Ausgangs- und Zielpunkte sind.
Wikimedia Deutschland ist dann am besten, wenn Freiwillige das tun, was sie antreibt – und Hauptamtliche das, was Freiwillige nicht leisten können oder tun wollen. Dieser Grundgedanke zieht sich durch alle Ziele und Vorhaben dieses Plans, der am 30. November 2014 von der Mitgliederversammlung vorläufig beschlossen wurde. Er versinnbildlicht, dass für die Gestaltung von Wikimedia Deutschland mehr notwendig ist als die Zuordnung von Ressourcen. Es kommt auf die gemeinsame Vision an, auf das optimale Zusammenspiel zwischen Ehren- und Hauptamtlichen, und darauf, ständig besser werden zu wollen. Prüfen und Anpassen gehört dazu: Zwischen seiner Ursprungsversion und diesem aktualisierten Jahresplan 2015 liegen gut vier Monate, die Erwartungen bestätigt, hilfreiches kritisches Feedback aber auch unerwartete Ereignisse gebracht haben:
Überraschend kündigte Google im November an, die Datenbasis seines Freebase-Dienstes in Wikidata aufgehen zu lassen. Kurz zuvor erhielten Wikidata und die ehrenamtliche Community den Open-Data-Publisher-Award, der stellvertretend von Magnus Manske als Community-Entwickler und von Lydia Pintscher, der Produktmanagerin von Wikidata, entgegengenommen wurde. Diese beiden Ereignisse zeigen die Bedeutung, die dem Projekt mittlerweile auch außerhalb der Wikimedia-Bewegung zuerkannt wird. Und auch für die interne technische Entwicklung der Wikimedia-Projekte wird die Strukturierung freier Daten der Schlüssel sein. In diesem Jahresplan ist das unter anderem am Zusammenspiel zwischen Wikipedia, Wikimedia Commons und Wikidata nachzuvollziehen.
Dieses Zusammenspiel hat in den letzten Wochen und Monaten aber auch zu teils heftiger Kritik geführt: Freiwillige und Hauptamtliche haben auf der Diskussionsseite dieses Plans in mehr als 120 Wortbeiträgen u. a. über Bedeutung und Rolle der Software-Entwicklung bei Wikimedia Deutschland diskutiert, insbesondere im Verhältnis zum Umfang der Freiwilligenförderung des Vereins. Weitere Fragen betrafen die Struktur der Geschäftsstelle, die mittelfristige Finanzplanung sowie den Wunsch nach größerer Teilhabe an der Mitgestaltung des Vereins. Wir haben bei Weitem nicht überall Konsens erreicht, aber dieser aktualisierte Entwurf gibt mir Gelegenheit, direkte Antworten auf die meiner Ansicht nach kritischsten Rückfragen zu geben:
Leidet die Community-Förderung unter dem Ausbau der Software-Entwicklung?
editNein. Die Begriffe Community und Software wurden in den Diskussionen oft einander gegenübergestellt. Sie widersprechen sich jedoch nicht, gerade wenn man auf die Abläufe und sozialen Praxen in den Wikimedia-Projekten blickt. Die beiden hauptamtlichen Teams der Ideenförderung und der Software-Entwicklung werden 2015 im Sachen technischer Kommunikation und Software-Wünsche der Communitys enger verzahnt sein als jemals zuvor. Dass man das aus der ersten Version dieses Plans nicht herauslesen konnte, hat das Feedback deutlich gemacht. Wir haben uns in der Betitelung nach Programmen, sprich “Freiwillige” vs. “Software-Entwicklung” keinen Gefallen getan, denn weder arbeiten wir nach dieser Trennung noch halte ich sie für sinnvoll. Weiter unten gehe ich genauer darauf ein, was wir nun warum redaktionell geändert haben. Dass aber beispielsweise die Perspektive eines Entwicklungszentrums für freie Software als Einschnitt der Wikipedia-Förderung verstanden wird, hat zweifellos Gründe jenseits der Darstellungsfrage:
Vielleicht müssen wir uns alle erst noch an die Tragweite strukturierter Daten für Wikipedia und Co. gewöhnen. Wikidata ist kein Anhängsel, Wikidata hat Stand Januar 2015 die viertgrößte Freiwilligencommunity aller Wikimedia-Projekte. Was jedoch weit wichtiger als dieser Umstand ist: Das ganze Projekt Wikidata ist darauf ausgelegt, sinnvolle Beiträge in den anderen Wikimedia-Communitys zu ermöglichen. Nicht zuletzt liegt das daran, dass alle Entwicklungsschritte gemeinschaftlich vom Entwicklungsteam und Community-Mitgliedern vorgenommen werden. Feedback ist in der Software-Entwicklung kein Lippenbekenntnis sondern Teil des Designs, und deshalb steht der Entwicklungsplan 2015 von Wikidata ganz im Zeichen besserer Datenqualität. Genau das fordern Projektaktive der deutschsprachigen Wikipedia ein. Konkret geht es um verbesserte Referenzen, Stimmigkeit der Daten und höhere Sichtbarkeit von Änderungen. Seit Langem eingefordert wird auch die bessere Benutzbarkeit des freien Medienarchivs Wikimedia Commons. Das wird ebenfalls 2015 per strukturierter Daten in Angriff genommen, und ich möchte an dieser Stelle betonen, dass von solchen Grundlagenentwicklungen Freiwillige lokal, regional und international gemeinsam profitieren werden – insbesondere von partnerschaftlicher Arbeit der Wikimedia Foundation und Wikimedia Deutschland. Es gehört zu den Vorteilen freier und quelloffener Software, durch Zusammenarbeit besser zu werden.
Die Ebene des Budgets sollte an dieser Stelle ebenfalls erwähnt werden: Ein wichtiger Grund für den zunächst nur vorläufigen Beschluss des Jahresplans 2015 waren gekürzte Zuwendungen des Funds Dissemination Committee. Bereits in der ersten Version dieses Plans waren alle Bereiche der Geschäftsstelle von Einsparungen gegenüber 2014 betroffen, neben der direkten Förderung unter anderem die früheren Teams Bildung & Wissen sowie Politik & Gesellschaft, die 2015 zusammengeführt sind und über 50 Prozent weniger Budget verfügen. Für die Zukunft müssen unsere Ressourcen über mehr Wege als bislang gesichert werden. Dazu gehört zum Beispiel die Akquise von Drittmitteln. Die hier im Plan avisierten 500.000 Euro an Drittmitteln für 2015 werden vorrangig für unsere Vorhaben im Bildungsbereich eingeworben werden.
Soziale Prozesse gestrichen? Sind die Freiwilligen nicht mehr wichtig?
editDas Feedback zum Jahresplan kritisierte nicht nur den Ausbau technischer Aspekte, sondern auch den Rückzug aus dem Thema “Soziale Prozesse”. Es handelt sich dabei aber absolut nicht um eine Entscheidung gegen Fragen des Miteinanders in den Wikimedia-Projekten, sondern um eine Entscheidung für die Stärken des Vereins. Dazu gehört die direkte Förderung von Ideen für und in den Wikimedia-Projekten, so wie die erstmals 2014 entstandenen lokalen Community-Räume in Köln und Hamburg. Zu unseren Stärken gehört auch, dass wir lernfähig sind und Dinge gegebenenfalls ändern, wenn sie nicht so funktionieren wie gedacht. Speziell in den Förderzielen dieses aktualisierten Plans haben wir deshalb die Schrauben nachgestellt: Ideen statt Antragsfrust, Förderwege bündeln statt fragmentieren, für künftige Software-Wünsche gewappnet sein. Wir wollen keine fertigen Anträge fördern, sondern Ideen in der Aufnahme, Beratung, Entwicklung und Ausarbeitung begleiten.
Nicht zu unseren Stärken gehört dagegen die Gestaltung des Miteinanders in Wikipedia, in den Projekten. Unser Ehrgeiz muss darauf gerichtet sein, das Miteinander von ehren- und hauptamtlicher Arbeit so gut wie möglich zu nutzen. Das ist keine Frage einzelner Bereiche der Geschäftsstellenarbeit, sondern gilt für alle Teams: Die Umsetzung technischer Wünsche und erfolgreiche Projektentwicklung, wie sie Wikidata demonstriert, wären ohne Community-Engagement schlicht nicht machbar. Über das Jahr 2014 hat sich auch in der Zusammenarbeit von Wikipedia-Aktiven und dem Kulturbereich einiges getan, beispielsweise durch den ersten Kulturhackathon “Coding da Vinci” oder die GLAM-on-tour-Stationen. Auch Wikimedia Deutschlands Engagement für freie Bildungsmaterialien ist 2014 massiv durch freiwilliges Engagement gestützt gewesen. Das ist keine abschließende Aufzählung. Vor allem aber zeigt sich daran: Die übergreifende Zusammenarbeit von Freiwilligen und Angestellten wird häufiger statt seltener. Wer sich die Tabellen der Teilziele dieses Plans durchliest, findet so gut wie keines, in dem der Erfolg nicht wesentlich von bereits bestehenden guten Beziehungen zwischen Ehren- und Hauptamtlichen abhängig wäre.
Das ist der Grund, warum wir die “Verpackung” der Ziele ein wenig geändert haben. Alles ist an seinem Platz, aber die aktualisierten Ziele sind nicht mehr in die Überschriften “Freiwillige”, “Software-Entwicklung”, “Institutionen” und “Rahmenbedingungen” unterteilt. Das las sich verständlicherweise so, als ob uns vier Themen wichtig wären, von denen die Freiwilligen nur ein einziges sind. Wie gesagt, unsere Arbeit ist genau auf das Gegenteil ausgerichtet, also haben wir das jetzt auch so aufgeschrieben: Die Ziele zur direkten Förderung und Kommunikation sowie für die technischen Wünsche, die an Wikipedia, Commons und Wikidata gerichtet werden, haben wir unter den Titel gestellt, der die logische Klammer bildet: “Freies Wissen in den Wikimedia-Projekten”. Dort geht es um Freiwillige, natürlich, aber eben auch unter der Überschrift “Freies Wissen von Institutionen” sowie “...in der Gesellschaft”. Details liefern die jeweiligen Teilziele.
Warum ist der Plan nicht mit den Communitys entstanden?
editZu den Wiki-Prinzipien passt kein fertiges Produkt. Seit Längerem wird deshalb von verschiedenen Seiten auch eine offenere Entwicklung der Jahrespläne des Vereins gefordert. Ich verstehe dieses Bedürfnis, muss aber ehrlich darauf hinweisen, dass dies erst im Hinblick auf 2016 angestrebt werden kann. Dies hier ist ein Plan des personellen und strategischen Übergangs, der in weiten Teilen an die Vorhaben 2014 anknüpft. Vor allem aber: Vier Monate Zeitunterschied zwischen dem ersten Entwurf und dieser aktualisierten Version sind nicht gleichbedeutend mit vier Monaten Zeit für Bearbeitungen. Nach der Mitgliederversammlung und ohne den Jahreswechsel sind nur wenige Wochen vergangen, bevor dem Präsidium ein neuer Entwurf vorliegen musste. Das Ziel der nur vorläufigen Verabschiedung des Jahresplans war es zu allererst, die zu jenem Zeitpunkt ungeklärte finanzielle Sicherheit für die Umsetzung sicherzustellen. Das ist geschehen und zeigt für mich eine erfreuliche Entwicklung: Die Spendekampagne zum Jahresende 2014 hat die Erwartungen sogar noch leicht übertroffen. Daneben verdoppelte sich die Zahl der Vereinsmitglieder in dieser Zeit annähernd, auf nunmehr mehr als 20.000 Menschen (rund 2.000 aktive, 18.000 Fördermitglieder). Damit ist die Mitgliederbasis mittlerweile eine tragende Säule auch der finanziellen Gestaltung des Vereins. Außerdem beginnen wir damit, Partnerschaften aufzubauen, die auch Drittmittelfinanzierung in einem erheblichen Umfang enthalten. Die angestrebte Klärung der Einnahme-/Ausgabemöglichkeiten 2015 ist erfolgt. Der vorliegende Plan ist finanziert.
Wichtiger als diese Sicherheit ist jedoch folgende Erkenntnis: So wichtig Übergangsphasen auch sind, die Realität wartet nicht auf sie. So leidenschaftlich unsere internen Debatten auch sein mögen, die Förderung Freien Wissens benötigt m. E. viel mehr gebündelte Energie, die man in tollen Vorhaben einsetzen kann. Im Fall unseres Vereins sind zum Start 2015 - wie oben berichtet - einige positive Trends zu vermelden. Jetzt kommt es darauf an, Gemeinsamkeiten vor Unterschiede zu stellen, von neuen Entwicklungen zu profitieren und jenen Zuspruch als Ansporn zu nehmen, den 300.000 Unterstützende und 20.000 Mitglieder der Wikipedia-Idee auf eindrucksvolle Weise gespendet haben. Diese Idee hört nicht bei Wikipedia auf, sondern beginnt hier erst.
Herzlichen Dank für die zahlreichen Fragen und Anregungen!
Jan Engelmann
Vorstand
Wikimedia Deutschland